Wolf und Weidetierhaltung – ein lösbarer Konflikt?
Wölfe breiten sich in Deutschland weiter aus. Ein Erfolg für den Artenschutz, doch Weidetierhalter sorgt diese Entwicklung.


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Fast 150 Jahre lang war der Wolf in Deutschland ausgerottet, bis sich 1998 wieder ein Wolfspaar auf einem Truppenübungsplatz in Sachsen niederließ und dort zwei Jahre später die ersten deutschen Welpen zur Welt brachte. Seitdem breitet sich der Wolf sukzessive über die Bundesrepublik aus. Jedes Jahr ein Stück mehr.
Nach Angaben der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) wurden im Monitoringjahr 2020/2021 158 Rudel (Wolfsfamilien), 27 Wolfspaare und 20 Einzelwölfe gezählt. Die meisten Tiere leben aktuell in Brandenburg, Sachsen, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt.
So groß die Freude über die Rückkehr und Wiederansiedlung des Wolfes ist. Für Weidetiere, insbesondere kleinere wie Schafe und Ziegen, stellt der Wolf ohne den Einsatz von Herdenschutzmaßnahmen eine Gefahr dar, auf die sich Weidetierhalterinnen und -halter einstellen müssen. Auch in der Bevölkerung breitet sich angesichts der steigenden Anzahl an Wölfen zunehmend Verunsicherung aus – gerade in ländlichen Gebieten.
Wie gefährlich ist der Wolf für Nutztiere?


Der Wolf ist ein Raubtier und macht grundsätzlich keinen Unterschied zwischen wildlebenden Tieren und Nutztieren. Vor allem für Schafe und Ziegen stellt er eine Gefahr dar. Ohne Schutzmaßnahmen sind sie im Ernstfall leichte Beute für Wölfe.
Rinder und Pferde werden dagegen deutlich seltener Opfer von Wolfsübergriffen. Das liegt zum einen daran, dass sie größer sind als Schafe und Ziegen. Außerdem sind sie von Natur aus wehrhafter und haben oft noch ein ausgeprägteres Herdenverhalten. Wenn Tiere dieser Arten getötet werden, sind es meistens Jungtiere oder einzeln gehaltene ausgewachsene Tiere.
Hintergrund
DBBW: Statusbericht Wolfsjahr 2020/2021
DBBW: Bericht zu Prävention und Nutztierschäden 2020
Mit der stetigen Ausbreitung des Wolfes in Deutschland nehmen seit Jahren auch die durch ihn verursachten Nutztierschäden zu. Laut DBBW kam es im Jahr 2020 zu 942 Übergriffen, bei denen 3.959 Tiere – darunter 3.444 Schafe – Schaden genommen haben.
Sechs Jahre zuvor waren es gerade mal 125 Übergriffe und 377 geschädigte Tiere.
Welche Rolle spielen Nutztiere auf dem Speiseplan der Wölfe?
Laut der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung ernähren sich Wölfe in Mitteleuropa vor allem von Reh-, Rot- und Schwarzwild, örtlich auch von Dam- und Muffelwild. Der Anteil von Nutztieren auf dem "Speiseplan" der Wölfe liegt bei rund 1,5 Prozent.
Besonders viele Nutztierschäden gibt es in der Regel dort, wo Wölfe in neue Reviere einwandern, weil die Tierhalter dort noch nicht auf sie vorbereitet sind. Nach Angaben des DBBW gehen die Schäden in diesen Gebieten aber meist nach ein bis zwei Jahren zurück, dann wenn die Tierhalter entsprechende Herdenschutzmaßnahmen etabliert haben.
Es kommt leider immer wieder vor, dass Wölfe mehr Nutztiere töten als sie sofort fressen können. Das hat folgenden Grund: Hat der Wolf den Weidezaun einmal überwunden, stellen Nutztiere auf solchen Weiden für ihn eine außergewöhnlich leichte Beute dar. Die Weidetiere können nicht flüchten und lösen daher mehrfach den Jagdtrieb im Wolf aus.
So etwas käme in der freien Natur so gut wie nie vor, da die übrigen Tiere einer Herde, die nicht durch den Wolf attackiert werden, sofort die Flucht ergriffen.
Warum es gute Gründe gibt, den Wolf zu schützen
Grundsätzlich ist es erfreulich, dass sich eine heimische Tierart, die über 150 Jahre lang ausgerottet war, hierzulande wieder ansiedelt, auch wenn wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt ist, wie genau der Wolf aktuell zum ökologischen Gleichgewicht beiträgt.
In jedem Fall helfen Wölfe auf natürliche Weise Wildtierbestände zu regulieren und verhindern damit Massenvermehrungen. Außerdem erbeuten sie kranke Tiere und halten damit die Bestände gesund.
In der intensiv genutzten Kulturlandschaft in Deutschland ist die Dichte an Rehen, Hirschen und Wildschweinen allerdings derart hoch, dass Wölfe nur einen vergleichsweise kleinen Beitrag zur Regulierung der Wildtierbestände leisten können. So muss auch in Wolfsgebieten weiterhin gejagt werden.
Wie können Nutztiere vor Wölfen geschützt werden?
Über viele Generationen lang war der Schutz unserer Nutztiere vor dem Wolf nicht mehr nötig, weil er vollständig ausgerottet war. Die Wiederkehr dieses Raubtiers stellt die meisten Tierhalterinnen und -halter damit vor völlig neue Herausforderungen. Ziel ist es, Nutztiere vor Wolfsübergriffen zu schützen.


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Es gibt zwar keine Herdenschutzmaßnahmen, die einen 100-prozentigen Schutz bieten. Mit Elektrozäunen oder Herdenschutzhunden können die Schäden aber meist verringert werden. Die Anschaffung und Unterhaltung solcher Maßnahmen kostet Halterinnen und Halter jedoch Zeit und Geld, die sie in der Regel nicht über höhere Preise kompensieren können.
Werden trotz Herdenschutzmaßnahmen Nutztiere durch einen Wolf getötet oder verletzt, haben die meisten Bundesländer Regelungen zum Schadensausgleich. In einem solchen Fall wird durch einen sogenannten Rissgutachter und genetische Analysen erst einmal geprüft, ob es sich tatsächlich um einen durch den Wolf entstandenen Schaden handelt. Kann der Verdacht bestätigt werden, erhalten Nutzierhalterinnen und Nutztierhalter eine Entschädigung.
Schießen oder nicht schießen?
Viele Jahre wurde in Deutschland kontrovers darüber diskutiert, ob und in welchem Fall Wölfe geschossen werden dürfen. Bislang war im Bundesnaturschutzgesetz geregelt, dass Wölfe nur dann getötet werden dürfen, wenn sie sich Menschen gegenüber aufdringlich zeigen, Schmerzen leiden oder wiederholt und trotz umfangreicher Schutzmaßnahmen Nutztiere in großem Maße töten. Im letzteren Fall durfte der Wolf auch nur dann getötet werden, wenn ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden für die Nutzierhalter vorliegt. Außerdem gilt die Abschussgenehmigung nur für den Wolf eines Rudels, der nachgewiesenermaßen für den Schaden verantwortlich war.
Vielen Nutztierhalterinnen und -haltern in Deutschland gingen diese Regelungen nicht weit genug. Sie forderten die Einrichtung von wolffreien Zonen, in denen ein Abschuss auch ohne Anlass möglich ist. Nur auf diese Weise könne ein ausreichender Schutz der Weidetiere gewährleistet werden.
Natur- und Tierschützer kritisieren diese Forderungen. Sie sehen in "vereinfachten Abschüssen" keine nachhaltige Lösung der Konflikte mit der Weidetierhaltung. Die Nutztierrisse könnten sogar zunehmen. Wenn durch Abschüsse die Rudelstruktur zerstört werde, fremde Wölfe einwanderten oder junge Wölfe plötzlich ohne Elterntiere Nahrung jagen müssten, könne die Zahl der Nutztierrisse sogar zunehmen, betont der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Der NABU schlug vor, anstelle von Bestandsregulierungen ein nationales Herdenschutzzentrum einzurichten, um effektiver über Herdenschutz zu informieren und Weidetierhalterinnen und -haltern schneller und unbürokratischer zu helfen.
Ein Kompromiss
Auf politischer Ebene hat sich die Bundesregierung nach langem und zähem Ringen zwischen Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) und Bundesumweltministerium (BMU) auf einen Kompromiss geeinigt, dem der Bundesrat Anfang 2020 zugestimmt hat. Danach muss im Fall von Nutztierrissen künftig nicht mehr nachgewiesen werden, welcher Wolf genau dafür verantwortlich war. Es dürfen nunmehr so lange Wölfe eines Rudels gejagt werden, bis in dem betreffenden Gebiet keine Schäden mehr auftreten.
Dabei wurde auch die Schadensschwelle herabgesetzt: So reicht laut Gesetzestext künftig ein "ernster" Schaden durch den Wolf aus. Es muss also nicht mehr, wie bisher, die wirtschaftliche Existenz des Weidetierhalters gefährdet sein.
Landwirtschaftsverbänden und Tierhalterinnen und Tierhaltern geht diese Regelung jedoch nicht weit genug. Laut Deutschem Bauernverband (DBV) werden die vom Naturschutz als "wolfssicher" eingestuften Einzäunungen regelmäßig von Wölfen überwunden und somit die Weidetierhaltung in Deutschland zunehmend gefährdet. Herdenschutzmaßnahmen allein könnten den Konflikt zwischen Wolf und Weidetierhaltung also nicht lösen, so der DBV. Eine Regulierung des Wolfsbestandes sei unverzichtbar.
Die Diskussion, wie sich Nutztierschäden durch den Wolf am wirkungsvollsten verhindern lassen, wird also weitergehen.
Letzte Aktualisierung: 31. Mai 2022
Weitere Informationen
Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW)
DBBW: Sind Wölfe für Menschen gefährlich?
Bundeslandwirtschaftsministerium: Der Wolf - Zwischen Schutz und Herausforderung