Springe zur Hauptnavigation Springe zum Inhalt

True Cost Accounting – Was Lebensmittel wirklich kosten (müssten)

Bei der Erzeugung von Lebensmitteln entstehen Kosten, die nicht über den Ladenpreis abgedeckt sind. Was müsste hier noch berücksichtigt werden?

Ausbringung von Kunstdünger
Eine übermäßige Ausbringung von Stickstoffdünger kann das Grundwasser belasten, was zu höheren Kosten in der Trinkwasseraufbereitung führt.
Quelle: pilesasmiles via Getty Images

Aktuell spiegeln die Preise von Lebensmitteln in den meisten Fällen nicht die Kosten wider, die bei ihrer Erzeugung entstehen. Wo durch die Art und Weise der Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln Schäden an der Umwelt oder auch im sozialen Bereich entstehen und die dadurch verursachten Kosten nicht in den Lebensmittelpreis einfließen, zahlen für die Beseitigung der Schäden nicht der Erzeuger oder die Konsumentin des Lebensmittels, sondern die Gesellschaft.

Ein Beispiel hierfür ist ein hoher Einsatz von Stickstoffdünger im Pflanzenbau, der zu erhöhten Nitratwerten im Grundwasser führen kann. Die Aufbereitung dieses Wassers zu Trinkwasser ist je nach den Gehalten in der Folge mit höheren Kosten verbunden, die dann zum Beispiel in Form von Trinkwasserkosten von der Gemeinschaft getragen werden. Auch die Zerstörung wertvoller Naturräume wie Wälder zur Gewinnung von Futtermitteln für die Tiermast verursacht oft solche Schäden.

Fachgespräch zum Thema True Cost Accounting

Zum Thema True Cost Accounting fand am 10. März 2022 im Nationalen Dialog zu Ernährungssystemen ein Fachgespräch statt. Fachleute aus Ernährungswirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Finanzwesen diskutierten über das Thema aus verschiedenen Blickwinkeln. Eine Aufzeichnung der kompletten Veranstaltung finden Sie auf der Online-Plattform www.ble-live.de der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE).

Ziel: Mögliche Kosten sichtbar machen

Es gibt verschiedene Ansätze, diese Kosten sichtbar zu machen. In Zusammenarbeit mit Partnern aus der Wissenschaft, kirchlichen Hilfswerken und der Ernährungsbranche ist so zum Beispiel die True Cost Initiative entstanden, die Bewusstsein dafür schaffen möchte, was Lebensmittel tatsächlich kosten müssten, wenn man alle Schäden berücksichtigt, die bei der Erzeugung und Verarbeitung entstehen.  

Auch ein Forscherteam der Universität Augsburg hat im Jahr 2020 in einer gemeinsamen Studie mit einem großen Lebensmittelhändler versucht, diese sogenannten wahren Kosten für Lebensmittel zu bestimmen (True Cost Accounting). Dabei wurden die negativen Auswirkungen von Stickstoff, Klimagasen, Energieeinsatz und Landnutzungsänderungen monetär bewertet und auf den üblichen Marktpreis eines Produkts aufgeschlagen.

Bei Fleisch aus konventioneller Erzeugung liegen die wahren Kosten besonders hoch.
Quelle: frantic00 via Getty Images

Je nach Lebensmittel führten die Berechnungen in der Untersuchung zu Aufschlägen von acht bis 173 Prozent. Das heißt, einige Produkte wurden mehr als zweieinhalb Mal so teuer. Den geringsten Aufschlag gab es im Durchschnitt bei pflanzlichen Lebensmitteln wie Äpfeln (acht Prozent) und Kartoffeln (zwölf Prozent), während die wahren Kosten für Milch- und Fleischprodukte wie Käse (88 Prozent) oder Hackfleisch (173 Prozent) besonders hoch ausfielen. Allgemein lagen die Aufschläge für die untersuchten Bio-Lebensmittel im Schnitt niedriger als bei konventionell erzeugten Produkten.  

Die höchsten Preisaufschläge müssten wegen ihres hohen Energiebedarfs laut der Studie tierische Produkte aus intensiver Tierhaltung haben. So müssen diese Betriebe große Mengen an Futtermitteln erzeugen und Mastställe beheizen oder belüften. Hinzu kommt, dass der Stoffwechsel der Tiere zu einem großen Austrag von Stickstoff und Treibhausgasen führt. Eine ökologische Erzeugung schneidet vor allem wegen des Verzichts auf synthetische Stickstoffdünger besser ab.

Konzept steht erst am Anfang

Bei der Berechnung der tatsächlichen Kosten gibt es eine ganze Reihe von Aspekten zu berücksichtigen, die sich nicht immer eindeutig berechnen lassen.

Dennoch ist man noch weit davon entfernt, die wahren Kosten für Lebensmittel monetär ermitteln und tatsächlich im Supermarkt auszuweisen zu können. Denn die dafür benötigten Berechnungen sind extrem komplex. Neben den vier in der Studie der Universität Augsburg angelegten Kriterien gibt es noch viele weitere Punkte, die berücksichtigt werden müssten.

Dazu gehören zum Beispiel der Wasserverbrauch, der Einsatz von Pestiziden, der Verlust der Artenvielfalt sowie soziale Aspekte wie eine faire Entlohnung der Erzeugerbetriebe und Erntehilfskräfte – auch in weniger entwickelten Ländern. Zudem lassen sich einige Kriterien – wie der Verlust der Artenvielfalt – nur schwer bewerten und in einen konkreten Aufpreis umrechnen.

Die verursachten Schäden bei der Erzeugung über entsprechende gesetzliche Vorgaben in den Bilanzen von Betrieben und Lebensmittelunternehmen sichtbar zu machen, wäre aus Sicht von Fachleuten eine wichtige Voraussetzung, um die wahren Kosten präziser eingrenzen zu können. Ein Beispiel und ein erster Schritt auf diesem Weg ist die bereits eingeführte Bepreisung von Treibhausgasen über eine sogenannte CO2-Steuer für fossile Brennstoffe.

Schäden zu vermeiden ist günstiger als Schäden zu beseitigen

Milchkühe im Stall
Bei der Haltung von Milchvieh und Rindern für die Mast entstehen viele Treibhausgase.
Quelle: deimagine via Getty Images

Die Fachleute raten darüber hinaus dazu, die Bilanzierung der wahren Kosten der Erzeugung auch auf alle anderen Wirtschaftsbereiche zu übertragen. Denn letztlich sei es volkswirtschaftlich immer günstiger, Schäden zu vermeiden, als sie später beseitigen zu müssen.

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sich Handel und Erzeuger im Bereich der Lebensmittelerzeugung darauf einigen, welche Kriterien berücksichtigt werden sollen und wie sie sich letztlich im Preis niederschlagen. Hier besteht noch großer Diskussions- und Forschungsbedarf. Zur ersten Orientierung und einer möglichen Einführung eines "True Cost"-Konzepts in die Praxis hat die "True Cost Initiative" ein umfangreiches Handbuch veröffentlicht.

Kreditgeber haben Nachhaltigkeit im Blick

Einen Schub könnte das Konzept durch die Finanzmärkte erhalten. Denn immer mehr Investoren achten bei der Einschätzung von Unternehmen darauf, wie nachhaltig deren Geschäftsmodelle ausgestaltet sind. Schließlich werden die Risiken, die aus nicht nachhaltigem Wirtschaften erwachsen, immer größer. Das machen aktuelle Krisen wie die Corona-Pandemie oder der Klimawandel beispielhaft deutlich.

Letzte Aktualisierung: 18. April 2023


Weitere Informationen

Nationaler Dialog: Gemeinsam nachhaltig ernähren

True Cost Initiative

True Cost Accounting Agrifood Handbook (PDF, englisch)

Universität Augsburg: Die wahren Kosten von Lebensmitteln

Ökolandbau.de: True Cost - Der wahre Preis unserer Lebensmittel


Wasserfußabdruck: Wie viel Wasser steckt in landwirtschaftlichen Produkten?

Ohne Wasser gibt es keine Lebensmittel. Wie groß der Bedarf für einzelne Produkte ist, hängt von vielen Faktoren ab – vor allem vom Standort.

Eine tiergerechtere Haltung kostet Geld – doch wer soll das bezahlen?

Viele Menschen in Deutschland wünschen sich eine tiergerechtere und umweltschonendere Tierhaltung. Die ist machbar, kostet aber.

Soja - Nahrungsmittel für Tier und Mensch

Soja ist als Öl- und Eiweißpflanze heute in aller Munde. Das hat Folgen für Mensch und Tier, Umwelt und Klima – regional und global.