Wie funktioniert die Gemeinsame Agrarpolitik der EU?
Knapp ein Drittel des EU-Budgets fließt in die Förderung der Landwirtschaft. Was ist der Grund dafür und wer erhält wofür Fördergelder?


Alle sieben Jahre wird die Gemeinsame Agrarpolitik der EU reformiert. Die nächste Förderperiode hätte eigentlich 2021 beginnen sollen. Da sich Mitgliedsstaaten, EU-Parlament und EU-Kommission aber nicht rechtzeitig auf eine gemeinsame Regelung einigen konnten, gilt für die Jahre 2021 und 2022 eine Übergangslösung. Ab Januar 2023 beginnt dann eine verkürzte Förderperiode bis 2027.
Bei der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU geht es um beträchtliche Summen: 58 Milliarden Euro stellte die EU durchschnittlich im Zeitraum 2014 bis 2020 jährlich für die Förderung der EU-Landwirtschaft zur Verfügung, das sind 38 Prozent des Gesamtbudgets der EU. Für die kommende Förderperiode bis 2027 wird mit durchschnittlich 55 Milliarden Euro jährlich zu rechnen sein – was etwa 31 Prozent des Gesamtbudgets entspricht. Insgesamt nimmt das EU-Budget für die Landwirtschaft seit Jahrzehnten immer mehr ab. Anfang der 1980er-Jahre lag der Anteil noch bei 66 Prozent!
Der nach wir vor hohe Anteil ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass die Agrarpolitik in der EU der einzige voll gemeinschaftlich finanzierte Politikbereich ist.
Doch warum wird die europäische Landwirtschaft überhaupt gefördert und was genau ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU?
Um das besser verstehen zu können, muss man ein Stück in die europäische Vergangenheit zurückgehen.
Europa nach dem Krieg: Der Landwirtschaft auf die Beine helfen
Der Grundstein für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) wurde bereits in den Gründungsjahren der damaligen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gelegt. Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte in Europa vielerorts Hunger. Weil sie die Probleme alleine nicht in den Griff bekamen, schlossen sich einige europäische Staaten, darunter Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Niederlande und Luxemburg zusammen, um der europäischen Landwirtschaft gemeinsam auf die Beine zu helfen.
Das Ziel war, die Menschen in Europa mit ausreichend Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen zu versorgen. Außerdem wollte man die Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte sichern und der ländlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung gewährleisten.
Die Mittel: Geschützter Binnenmarkt und Preisstützung
Um das zu erreichen, schufen die Gründerstaaten der heutigen EU einen gemeinsamen Binnenmarkt, in dem die Waren frei gehandelt werden konnten. Nach außen wurde dieser Binnenmarkt geschützt, zum Beispiel durch Zölle. Die Menge der landwirtschaftlichen Erzeugnisse kurbelte man durch sogenannte Preisstützungen an. Das heißt, der Staat legte einen Garantiepreis fest, zu dem die Landwirtschaftsbetriebe ihre Produkte sicher verkaufen konnten. Erzeugnisse, die sie zu diesem Preis nicht absetzen konnten, wurden von staatlichen Stellen aufgekauft.
Die EWG (später EG beziehnugsweise EU) förderte auch die Mechanisierung in der Landwirtschaft, um die Produktivität weiter zu erhöhen. Das Geld für all diese Maßnahmen nahm sie aus dem Gemeinschaftshaushalt.
Ziel erreicht! Doch es kommt zu neuen Problemen


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Das System der GAP hatte Erfolg. Die europäische Landwirtschaft florierte und Hunger war bald kein Thema mehr. Doch schnell entstanden neue Probleme. Denn das europäische Fördersystem führte zu Überproduktion und die vom Staat aufgekaufte überproduzierte Ware nahm immer größere Dimensionen an. Begriffe wie "Milchseen" und "Butterberge" prägten in den 1980-er Jahren die Diskussion.
Über sogenannte Exportsubventionen versuchte der Staat die zu viel produzierten Lebensmittel über den Weltmarkt zu verkaufen. Darüber sollte die Wettbewerbsfähigkeit der teuer produzierenden EU-Landwirtinnen und Landwirte auf dem internationalen Markt erhalten werden. Was über den Weltmarkt nicht gehandelt werden konnte, wurde eingelagert oder vernichtet.
Die staatlichen Kosten für dieses Eingreifen in den Markt wurden mit der Zeit untragbar hoch. Die Exporterstattungen führten außerdem dazu, dass die Bäuerinnen und Bauern außerhalb Europas – insbesondere in ärmeren Ländern – nicht mehr konkurrenzfähig waren und aufgeben mussten. Alles das erzeugte Proteste in der Gesellschaft.
Zunehmend kritisch sah man auch, dass die durch die EU-Förderung intensivierte landwirtschaftliche Produktion immer mehr zulasten von Umwelt und Klima ging.
Entkopplung der staatlichen Förderung
Als Folge darauf änderte die EU ihr Fördersystem. Die über Jahrzehnte betriebene Preisstützungspolitik wurde abgebaut, zugunsten eines Direktzahlungssystems, das heute noch Verwendung findet. Die staatliche Förderung wurde von der Produktion "entkoppelt", um der Überproduktion entgegenzuwirken. Exporterstattungen, die 1993 noch bei über 10 Milliarden Euro lagen, wurden bis 2012 sukzessive auf 146 Millionen Euro reduziert und 2014 faktisch abgeschafft.
Das Hauptziel der Förderung war zwar nach wie vor die Einkommenssicherung der Landwirtinnen und Landwirte. Zunehmend rückten aber auch gesellschaftliche Leistungen, wie zum Beispiel die Erhaltung der Kulturlandschaft, die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung, mehr Tierschutz oder die Entwicklung der ländlichen Räume in den Fokus der Förderung.
So funktioniert die Gemeinsame Agrarpolitik heute
Seit der Verabschiedung der Agenda 2000 im Jahr 1999 beruht die Gemeinsame Agrarpolitik der EU auf zwei Säulen. Die Finanzierung der ersten Säule wird zu 100 Prozent aus Mitteln des Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL) bestritten und in erster Linie in Form von Direktzahlungen an die landwirtschaftlichen Betriebe ausgezahlt. Die zweite Säule ist mehr auf allgemeine Ziele wie ländliche Entwicklung, Umwelt- und Tierschutz ausgerichtet. Von diesen Zahlungen profitieren nicht nur Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch Kommunen, Verbände und andere Institutionen, die sich für entsprechende Ziele einsetzen.
Den finanziellen Rahmen für die Förderung der zweiten Säule bildet der Europäische Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raumes (ELER). Im Gegensatz zur ersten Säule basieren die Maßnahmen der zweiten Säule auf dem Prinzip der Kofinanzierung. Das heißt, die EU beteiligt sich an den Kosten mit einem bestimmten Anteil, in der Regel 50 Prozent. Der Rest ist aus nationalen Mitteln zu finanzieren.
Die zwei Säulen der GAP


Erste Säule: Direktzahlungen
Für die Direktzahlungen erhielt Deutschland in der Förderperiode von 2014 bis 2020 jährlich rund 4,8 Milliarden Euro von der EU – für die aktuell anstehende Förderperiode sollen es jährlich 4,9 Milliarden Euro werden. Wie viel jeder einzelne Landwirtschaftsbetrieb davon abbekommt, bemisst sich an der bewirtschafteten Fläche. Das heißt, je mehr Fläche ein Betrieb bewirtschaftet, desto mehr Förderung kann er beziehen. Dabei spielt es keine Rolle, was und wie viel er von diesen Flächen erntet.
Die Direktzahlungen an die Landwirtinnen und Landwirte dienen in erster Linie der Einkommenssicherung. Darüber hinaus sollen sie aber auch einen Ausgleich schaffen und die EU-Landwirtinnen und -Landwirte für den internationalen Wettbewerb stärken: Denn EU-Landwirtschaftsbetriebe müssen in der Regel höhere Standards erfüllen als außereuropäische Wettbewerber: zum Beispiel beim Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutz. Das bringt meist höhere Produktionskosten mit sich.
Die Direktzahlungen setzten sich aus verschiedenen Prämien zusammen. Grundsätzlich erhalten alle Betriebe bislang noch eine Basisprämie von 171 Euro pro Hektar und Jahr. Zu der Basisprämie gewährt die EU allen Betrieben noch eine so genannte Greening-Zahlung in Höhe von rund 83 Euro/Hektar. Allerdings nur dann, wenn sie konkrete Umweltleistungen erbringen.
Oben drauf gibt es noch die sogenannte Umverteilungsprämie. Das ist ein Zuschuss für die ersten Hektare eines Betriebes. Sie beträgt rund 50 Euro pro Hektar für die ersten 30 Hektar und 30 Euro pro Hektar für weitere 16 Hektar. Durch diese Zahlungen sollen besonders die kleineren Betriebe bessergestellt werden.
Landwirtinnen und Landwirte unter 40 Jahren können darüber hinaus noch eine sogenannte Junglandwirteprämie in Höhe von rund 44 Euro pro Hektar in Anspruch nehmen. Diese wird fünf Jahre lang gewährt.
Zweite Säule: Ländliche Entwicklung und Umweltschutz
Aus der zweiten Säule der GAP werden gezielt Förderprogramme für die nachhaltige und umweltschonende Bewirtschaftung und die ländliche Entwicklung finanziert. Aus diesem Topf werden beispielsweise der ökologische Landbau und verschiedene Agrarumweltprogramme gefördert. Ein Teil der Gelder fließt aber auch in die Entwicklung von Dörfern, in die Internetversorgung, den Tourismus oder den Hochwasserschutz.
Für die zweite Säule standen bislang in Deutschland jährlich rund 1,4 Milliarden Euro an EU-Mitteln zur Verfügung. Diese können jedoch nur dann abgerufen werden, wenn Bund, Länder und Kommunen noch etwas zuschießen.
Reform der GAP – ab 2023 wird vieles anders
Reaktionen auf die GAP-Reform
Das Echo auf die Reformbeschlüsse fällt geteilt aus. Das Bundeslandwirtschaftsministerium begrüßte die Reform als Systemwechsel, "der ein Mehr an Umwelt- und Klimaschutz mit wirtschaftlichen Perspektiven für die Landwirte und die ländlichen Räume verbindet." Während der Deutsche Bauernverband vor Zahlungseinbußen für Landwirtinnen und Landwirte warnte und sich für mehr Flexibilität und weniger Bürokratie aussprach, hätten sich Umwelt- und Naturschutzverbände deutlich strengere Umweltauflagen gewünscht. Sie halten die Reform für nicht ausreichend, um die europäischen Klima- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Prinzipiell wird auch in der kommenden Förderperiode weiter am Zwei-Säulen-Modell und an einer Fortführung der Direktzahlungen zur Einkommenssicherung der Landwirtinnen und Landwirte festgehalten. Umwelt-, Klima- und Tierschutzleistungen der Landwirtschaft sollen in der neuen Förderperiode ab 2023 aber umfassender gefördert werden als bisher. Das beschloss die EU im Sommer 2021 nach langen zähen Verhandlungen zwischen Mitgliedsstaaten, EU-Parlament und EU-Kommission.
Insbesondere die Direktzahlungen der ersten Säule sollen einer umfassenderen Reform unterzogen werden. Diese Art der Förderung wurde schon lange beanstandet, weil sie unabhängig von der Art der Bewirtschaftung gewährt wird und nach Meinung der Kritiker und Kritikerinnen somit eine landwirtschaftliche Intensivierung fördere, die zulasten der Umwelt, des Klimas und des Tierschutzes ginge. Für die gezielte Honorierung von Natur-, Klima und Tierschutzleistungen würden dagegen zu wenig Mittel bereitgestellt.
Um die Umwelt-, Klima- und Tierschutzleistungen der Landwirtschaft in der neuen Förderperiode umfassender zu fördern als bisher, soll der Erhalt von Direktzahlungen daher nun stärker an die Einhaltung von Umwelt- und Klimavorschriften gebunden werden. Der EU-Beschluss sieht hier vor, dass künftig 25 Prozent der Direktzahlungen für sogenannte Eco-Schemes aufgewendet werden muss. Die Erbringung von Leistungen im Rahmen dieser Öko-Regelungen ist für die Betriebe freiwillig. Wer sich diese Gelder jedoch sichern möchte, muss dafür Leistungen für Umwelt-, Klimaschutz oder die Biodiversität erbringen, die über die allgemeinen Auflagen an Umwelt -und Klimaschutz hinausgehen. Welche Maßnahme für ihren Betrieb die jeweils passendste ist, können die Betriebe aus einem Katalog selbst auswählen.


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Darüber hinaus soll ein zunehmender Anteil der jährlichen Direktzahlungen in die zweite Säule der GAP fließen, damit dort künftig mehr Mittel für Programme zur Förderung von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen und zur Stärkung der ländlichen Räume genutzt werden können. Bis 2023 soll dieser Anteil auf 10 Prozent und bis 2026 auf 15 Prozent erhöht werden.
Die Umverteilungsprämie zugunsten kleinerer und mittelgroßer Betriebe soll ebenfalls ansteigen und auch Junglandwirtinnen und Junglandwirte werden zukünftig noch gezielter gefördert. Außerdem werden Direktzahlungen künftig für die Haltung von Mutterschafen und -ziegen sowie Mutterkühen eingeführt, um diese für den Umwelt- und Naturschutz so wichtigen Tierhaltungsbereiche zu fördern.
Schließlich soll die sogenannte "Konditionalität" dafür sorgen, dass jeder geförderte Hektar künftig an höhere Umwelt-, Klima- und Tierschutzauflagen geknüpft ist. Sie sieht vor, dass die Betriebe zum Erhalt der Basisprämie künftig mindestens vier Prozent ihrer landwirtschaftlichen Flächen als "nichtproduktive Fläche" oder für Landschaftselemente zum Schutz der Biodiversität bereitstellen müssen. Außerdem gelten besondere Regelungen zur Erhaltung von Dauergrünland sowie zum Schutz von Feuchtgebieten und Mooren.
Aufgrund der besonderen Situation, die sich aus dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ergibt, lässt die Bundesregierung einige Ausnahmen gelten. Sowohl die Regeln zum Fruchtwechsel als auch die zur Stilllegung werden in Deutschland erst ab dem 1. Januar 2024 gelten. Damit will man dem erhöhten Bedarf an Weizen gerecht werden, der auf den sonst stillgelegten Flächen angebaut werden kann.
Letzte Aktualisierung: 25. August 2022